Gitarrenzauber 2012
Wieder ein erlebnisreiches Event und ein voller Erfolg.
Das Beste eines an Höhepunkten nicht gerade armen Abends kommt zum Schluss. Gerade hat die Martin Harley-Band ihren Part mit einer furiosen Version des Jimi-Hendrix-Klassikers „Voodoo Chile“ beendet. Da kommen nochmal alle Musiker des Abends gemeinsam auf die Bühne, um einen Song gemeinsam zu spielen. Akustisch, ganz ohne elektronische Verstärkung. Da füllt sich die Bürgerhalle mit dem brillanten Klang dieser Zupfinstrumente aus Groß-Rohrheim. Nicht zuletzt wegen solcher Momente heißt die Veranstaltung völlig zurecht „Gitarrenzauber“.
Veranstalter dieses international hochkarätig besetzten Akustik-Festivals am Sonntagabend ist – mit Unterstützung der Musikkiste – einmal mehr der Groß-Rohrheimer Gitarrenbauer Andreas Cuntz. Seit 2007 beendet der Handwerksmeister seine Aktivitäten rund um die Frankfurter Musikmesse mit einem Konzert in seiner Heimatgemeinde. Mittlerweile in seiner sechsten Auflage angelangt, hat es seinen Status als „Geheimtipp“ eigentlich verloren. Aus der ganzen Region und weit darüber hinaus reisen die Gäste, darunter zahlreiche Musiker, nach Groß-Rohrheim, um mehr als vier Stunden lang exzellenter handgemachter Musik auf edlen Instrumenten zu lauschen. Und das alles in einem glasklaren Sound, der nicht das Geringste zu wünschen übrig lässt.
Der Brite Martin Harley gehört mit seinem Trio zu den Künstlern der ersten Stunde. Also darf er auch beim jüngsten Festival den Rahmen setzen und solistisch mit seiner Lap-Steel-Gitarre auf den Knien glänzen. Es kommt fast Pub-Atmosphäre in der Bürgerhalle auf, wenn er Finger und Bottleneck übers Griffbrett sausen lässt. Packend vor allem die ungeheure Dynamik, mit der er rasant vom filigranen Leisespiel zum Klanggewitter wechselt. Vor allem Tom Waits‘ „Chocolate Jesus“ lässt Harley mit gehörigen Shouter-Qualitäten zum Hinhörer werden.
Ein kleines gemeinsames Stück, dann übernimmt Petteri Sariola die Bühne. Und alleine sein Spiel lohnt die geradezu lächerlich geringen zehn Euro Eintrittspreis. Durch spezielle Tapping-Technik, Saiten-Stimmung und Hall-Effekte klingt das Spiel des jungen Finnen, als stehe da eine komplette Band auf der Bühne. Schon beim „Einspielen“, wie der Künstler ganz unprätentiös sein erstes Stück bezeichnet, bleibt dem Publikum reihenweise der Mund vor Staunen offen. Dann brettern die fliegenden finnischen Finger übers Griffbrett der Cuntz-Gitarre, dass es einem schlicht den Atem verschlägt. Ein Stück, in dem er seinen rhythmischen Spielstil pflegt, hat er vermeintlichen „Freunden“ aus Jugendtagen gewidmet, die ihm rieten, diesen „Müll“ doch zu lassen und „richtig“ Gitarre zu spielen. Glücklicherweise hat Sariola nicht auf diese Leute gehört. Angesichts dieser Kunst vergisst das Publikum glatt seine Zugabeforderung. Sariola kommt trotzdem nochmal auf die Bühne und gestaltet den restlichen Part als spontanes Wunschkonzert.
Was soll danach noch kommen? Andreas Cuntz hat die Dramaturgie geschickt geplant und baut auf Gegensätze. Steph MacLeod packt das Publikum mit seinem weniger spektakulären als vielmehr emotional höchst anrührenden Spiel. Der Schotte lebte sechs Jahre als Obdachloser in Edinburg und hat seine bittersten Erfahrungen musikalisch verarbeitet – ein intensives Konzerterlebnis. „Ich bin froh, hier zu sein“: Bei jedem anderen täte man’s als Floskel ab, bei ihm erlangt der Satz eine abgründige Tiefe. Kein Nebengeräusch der Zuhörer stört diese magischen Momente seines Auftritts.
Nach der Pause holt Agustin Amigó ein Publikum mit ausgesprochen filigranen Arrangements von Pop-Hits der 80er und 90er Jahre wieder zurück. So schön und so anders kann Nenas „99 Luftballons“ klingen.
Dann ist Zeit für eine Premiere: Erstmals steht mit Zelia Fonseca eine Frau beim „Gitarrenzauber“ auf der Bühne. Mit ihrem Trio spielt die Brasilianierin faszinierende Weltmusik. Vor allem Percussionistin Angela Frontera eröffnet mit Schläuchen, Rasseln und einem Wasserbottich neue Klangwelten. Mit dem Ziel, ein Brasilien abseits von Bossa Nova und Karneval zu zeigen, gelingen auch ihr intensive Momente. Sie spielt als Einzige des Abends (noch) keine Cuntz-Gitarre – und glatt hat sie Probleme mit ihrem Tonabnehmer-System. Der Veranstalter dürfte genau hingehört haben.
Zum Schluss heizt die Martin Harley Band mit Rock, Blues und Bluegrass die Bürgerhalle nochmals ordentlich auf, gleichwohl mit umwerfender Dynamik. Der „Gitarrenzauber“ dürfte sich einen Schritt weiter vom Geheimtipp entfernt haben. Nach einem solchen Hautnah-Konzert würden sich die großen Musikzentren der Republik alle Finger lecken.
© Südhessen Morgen, Dienstag, 27.03.2012